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:: 6/22/2003 ::

Reich, lsr-projekt.de

gegen alles, was in mir über mir ist

ZPPS, Band 3 (1936), Doppel-Heft 1-2 (8-9), S. 1-7


Der kulturpolitische Standpunkt der Sexpol

Die politische Reaktion überschreit sich in den verschiedenen Lagern mit der einhelligen Behauptung, dass die Kultur die Blüte der Gesellschaft sei und behütet werden müsse. Doch was sie mystisch und laut vertritt, verneint sie praktisch. Die soziale Revolution dagegen will praktisch lebensbejahend sein und alle wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür schaffen.

Im Kapitalismus stehen die Bedürfnisse der Menschen im Dienste der chaotischen Wirtschaft des kapitalistischen Interesses. Der internationale revolutionäre Sozialismus erstrebt die Umkehrung des Verhältnisses: Die Wirtschaft soll planmässig in den Dienst der menschlichen Bedürfnisbefriedigung gestellt werden.

Im Kapitalismus lebt die Mehrheit der Erdbevölkerung in realer Not und in illusionärer Befriedigung. Der Sozialismus erstrebt eine Wirtschaft, die an die Stelle der illusionären Befriedigung und der realen Not die allgemeine Befriedigung des lebendigen Lebens setzt. Sicherung des Lebensglücks auf Erden ist seine Parole.

Im Kapitalismus sind die Massen Spielball ungelenkter Wirtschaftsprozesse und intriganter Diplomaten, die sich dieser Wirtschaft bedienen und Kriege in Gang setzen, wenn sie mit ihrer Diplomatenkunst zu Ende sind. Doch weshalb setzt sich die Idee der Planwirtschaft und des rationellen Lebens in der Masse der Erdbevölkerung so schwer oder gar nicht durch? Weshalb errang die politische Reaktion nach dieser langjährigen Weltwirtschaftkrise einen so ungeheuren Vorsprung?

Die breite Masse versteht nichts von dem, was vorgeht und interessiert sich nicht dafür. Sie kennt nur ihre leibliche und seelische Not, doch nicht deren objektiven Grund.

Es zeigt sich, dass die materielle und kulturelle Unterdrückung des Lebens innerhalb der Massen der Unterdrückten selbst, sei es in Form von Passivität, sei es in Form von politischen Einstellungen, die ihren realen Interessen widersprechen, Verankerung gefunden hat. Es zeigt sich, dass die menschliche Struktur jeder Autorität hörig ist, und das Leben, das sie verwirklichen will, fürchtet. Und die revolutionäre Bewegung hat bisher der Masse nicht klar gemacht, was Freiheit konkret bedeutet. Zu dieser katastrophalen Lebensverneinung innerhalb der breiten Masse der Erdbevölkerung trägt eine Unklarheit über die Beziehung von Natur und Kultur, Trieb und Moral, Sexualität und Arbeit wohl das allermeiste bei. Die Angst vor dem "sittlichen Chaos" im Falle einer sozialen Umwälzung der bestehenden Verhältnisse beherrscht nicht nur die politische Reaktion in ihrer Führung, sondern auch breite Teile der sozialistischen Führerschaft nicht minder als die von lebensverneinender Moral verseuchten Massen.

Unsere Absicht kann im Augenblicke nichts anderes sein, als zu einer Erklärung eines unlösbar erscheinenden, aber in Wirklichkeit lösbaren Widerspruches unseren Beitrag zu liefern.

Der Gegensatz von Trieb und Kultur, Sexualleben und Arbeit besteht heute zurecht. Denn die moralische und autoritäre Unterdrückung des Lebens hat die Menschen mit asozialen gefährlichen Instinkten ausgestattet. Der Hunger erzeugte den Diebstahl, die moralische Askese erzeugte die sexuelle Vergewaltigung. Es bestehen also Gründe für die Angst vor Chaos zurecht. Doch man vergass dabei, dass die Verrottung und Zermürbung der natürlichen menschlichen Sexualität einmal entstand und das Chaos längst erzeugt hat. Man hält das, was die heutigen Menschen in Familienleben und Krieg, in Banditentum und Verbrechertum zur Schau stellen, für ihre natürlichen, ererbten "Anlagen" und schliesst daraus, dass die Notwendigkeit der moralischen Regulierung und Bremsung im Interesse des gesellschaftlichen Zusammenhalts naturgegeben sei; dass die menschliche Kultur kaputt ginge, wenn man die moralische autoritäre Ordnung beseitigen würde.

Man übersah, obgleich das Leben es auf Schritt und Tritt demonstriert, dass der Kern des Kulturprozesses der Sexualitätsprozess des Menschen ist, wie die Basis beider die wirtschaftliche Produktion. Eine revolutionäre Kulturbetrachtung kann die heutige Kultur nicht bejahen. Sie kann auch weder die autoritäre Zwangsmoral noch die Triebunterdrückung bejahen. Sie muss den Widerspruch zwischen Natur und Kultur, Trieb und Moral lösen und die Einheit beider Teile zustande bringen. Voraussetzung dazu ist, dass sie unterscheiden lernt, was natürlicher Lebensanspruch und was gesellschaftlich feindlicher, durch die Moral zustande gekommener asozialer Trieb ist. Die Kulturfrage kann nicht gelöst werden, wenn man nicht ihren Kern, die sexuelle Lebensweise der Menschen, rationell und lustbejahend erfasst.

Die Kulturbewegung des Sozialismus scheiterte bisher daran, dass sie ebenso wie der Konservativismus an die absolute Gegensätzlichkeit von Kulturbildung und Sexualität glaubte, und es nicht wagte, an das Ungeheuer des drohenden sittlichen Chaos konkret heranzugehen. Eine sozialistische Kultur kann sich niemals gegen das lebendige Leben wenden, sie kann nur die prächtigste Blüte des jeweiligen Lebens sein. Zur Verdeutlichung:

Was ist sexuelles Chaos ?

Sich im Ehebett auf das Gesetz der "ehelichen Pflicht" zu berufen.
Eine lebenslängliche sexuelle Bindung einzugehen, ohne vorher den Partner sexuell kennengelernt zu haben.
Ein Proletariermädchen zu "beschlafen", weil sie "zu so etwas schlecht genug ist", und gleichzeitig einem "anständigen Mädchen derartiges" nicht zumuten.
Geil von einem schmutzigen Hurenleben oder infolge Abstinenz die "Hochzeitsnacht" zu erwarten.
In der Entjungferung den Höhepunkt männlicher Potenz zu erblicken.
Mit 14 Jahren gierig jedes halbnackte Menschenbild im Geiste abzutasten, um dann mit 20 Jahren als Nationalist oder Oxfordianer für die "Reinheit und Ehre der Frau" einzutreten.
Einem Julius Streicher zu ermöglichen, seine perversen Phantasien zehntausenden Jugendlichen einzubläuen.
Kinder für Selbstbefriedigung zu bestrafen und Jugendliche glauben zu machen, dass sie durch den Samenerguss Rückenmark verlieren.
Die pornographische Industrie zu dulden.
Durch erotische Filme die Jugendlichen sexuell zu erregen, um Geschäfte zu machen, aber ihnen die natürliche Liebe und Befriedigung, noch dazu mit Berufung auf die Kultur, zu versagen.

Was ist nicht sexuelles Chaos ?

Aus gegenseitiger Liebe die körperliche Hingabe ohne Rücksicht auf die herrschenden Gesetze und Moralvorschriften zu wollen und danach zu handeln.
Kinder und Jugendliche von den sexuellen Schuldgefühlen zu befreien und sie ihrem Alter entsprechend leben zu lassen.
Nicht zu heiraten oder sich dauernd zu binden, ehe man den Partner körperlich genau kennenlernte.
Kinder nur dann in die Welt setzen, wenn man sie wünscht und aufziehen kann.
Keinen Anspruch auf Liebe oder Hingabe zu erheben.
Nicht aus Eifersucht den Partner zu morden.
Nicht mit Prostituierten zu verkehren, sondern mit Freunden des eigenen Lebenskreises.

Nicht in Haustoren wie die Jugendlichen unserer Kultur, sondern in hygienischen ungestörten Räumen den Beischlaf ausüben zu wollen.
Eine unglückliche zermürbende Ehe nicht aus moralischer Rücksicht zu halten, u.s.f.

*

Das Kulturgeschwätz wird nicht aufhören, und die revolutionäre Kulturbewegung wird nicht siegen, wenn diese Fragen nicht gelöst sein werden.

Das Ziel der sexualpolitischen, kulturrevolutionären Arbeit kristallisiert sich an Hand der Ereignisse ohne Klügelei heraus:

Die Menschen haben die ursprüngliche natürliche Lebensfunktion mit allem Lebendigen gemeinsam. Man pflegt es Triebleben oder Gefühlsleben zu nennen. Dieses vegetative Leben strebt nach Entfaltung, Betätigung, Lust, vermeidet Unlust und erlebt sich selbst in Gestalt strömender, drängender Empfindungen. Sie sind die Kernelemente jeder vorwärtstreibenden, also revolutionären Weltanschauung. Auch dem sogenannten "religiösen Erleben" und dem "ozeanischen Gefühl" liegen vegetative Lebenserscheinungen zugrunde. Es glückte vor kurzem, in einigen dieser vegetativen Erregungen elektrische Ladungsvorgänge der Gewebe zu erkennen. Begreiflich, denn der Mensch ist nur ein Stück der Natur, die elektrisch betrieben ist.

Dem religiösen Gefühl des Einsseins mit dem Weltall entspricht somit eine Naturtatsache. Doch die Mystifizierung des organischen Wellengangs vollbrachte an Stelle der Entfaltung seine völlige Lahmlegung. Christus führte die gläubigen Armen gegen die Reichen. Das Urchristentum war im Grunde eine kommunistische Bewegung, deren vorwärtsstrebende, lebensbejahende Kraft durch die gleichzeitige Sexualverneinung ins Gegenteil, ins Asketische und überirdische verkehrt wurde. Zur Staatskirche geworden, verleugnete das internationale, die Erlösung des Menschen anstrebende Christentum seinen eigenen Ursprung. Ihre Kraft verdankt die Kirche den mächtigen, lebensverneinenden Veränderungen der menschlichen Struktur durch die metaphysische Fassung des Lebens: Sie lebt durch das Leben, das sie tötet.

In der marxistischen Wirtschaftstheorie brach sich die Erkenntnis der wirtschaftlichen Voraussetzungen des vorwärtsstrebenden Lebens Bahn. Die Sowjetunion bewies ihre Richtigkeit. Doch ihre Einschränkung durch grob ökonomistische und mechanistische Anschauungen verursachte eine bedrohliche Veränderung zur Lebensverneinung mit all ihren wohlbekannten Anzeichen. Der Ökonomismus unterlag in diesen Jahren schwerster politischer Kämpfe, weil er die Formung des vegetativen Lebenswillens als "Psychologie" verdammte und sie den Mystikern überliess. [marx critique]

Im Neuheidentum des deutschen Nationalsozialismus brach sich das vegetative Leben abermals Bahn. Der vegetative Wellengang wurde von der faschistischen Ideologie besser erfasst als von der Kirche und ins Irdische herabgeholt. Die nationalsozialistische Mystik der "Blutwallung" und der "Verbundenheit mit Blut und Boden" bedeutet somit gegenüber der altchristlichen Anschauung von der Erbsünde einen Fortschritt; er erstickt jedoch in neuerlicher Mystifizierung und in reaktionärer Wirtschaftspolitik. Die Lebensbejahung biegt neuerdings in Lebensverneinung um, wird zur Bremsung der Lebensentfaltung in der Ideologie der Askese, des Untertanentums, der Pflicht und der Volksgemeinschaft mit den Kapitalisten. Trotzdem kann man nicht die Sündenlehre gegen die Lehre von der "Blutwallung" verteidigen; man muss die "Blutwallung" vorwärtstreiben, sie zurechtbiegen.

Aus diesem Verhältnis von Altchristentum und Neuheidentum gehen viele Missverständnisse hervor. Die einen reklamieren das Neuheidentum als die Religion des Proletariats; sie spüren die fortschrittliche Tendenz, sie sehen nicht ihre mystische Umbiegung. Die andern wollen die Kirche gegen die faschistische Ideologie in Schutz nehmen und meinen dabei, revolutionär zu handeln. Mag sein, dass dies aktuell politisch richtig ist, doch auf die Dauer führt es irre. Unter den Sozialisten gibt es viele, die das "religiöse Empfinden" nicht völlig missen möchten; sie haben recht, sofern sie die vegetative Entfaltungstendenz meinen; sie haben unrecht, sofern sie die reale Abbiegung und Bremsung des Lebens nicht sehen. Niemand wagt noch, an den sexuellen Kern der Lebensentfaltung zu greifen, und jeder nützt seine eigene Sexualangst unbewusst aus, um das Leben zwar in Gestalt des religiösen oder revolutionären Erlebens zu bejahen, es jedoch im nächsten Atemzuge praktisch durch SexuaIverneinung in Lebensverneinung zu verkehren. Derart ergänzen einander religiöse Sozialisten und ökonomistische Marxisten.

Die sexualökonomische Forschung hat aus ihrer naturwissenschaftlichen Grundlage und den sozialen Vorgängen den korrekten Schluss gezogen: Der Lebensbejahung muss in ihrer subjektiven Form als Bejahung der Sexuallust und in ihrer objektiv gesellschaftlichen Form als sozialistischer Planwirtschaft zur subjektiven Bewusstheit und zur objektiven Entfaltung verholfen werden. Die Lebensbejahung muss organisiert erkämpft werden. Die Lustangst der Menschen ist dessen mächtigster struktureller Gegner.

Die durch die gesellschaftliche Störung des natürlichen Lustablaufs entstandene organische Lustangst bietet in Gestalt von Bescheidenheit, Moralität, Führerhörigkeit etc. den Kern der Schwierigkeiten aller Art dar, denen die massenpsychologische und sexualpolitische Praxis im Alltag begegnet. Man schämt sich zwar, impotent oder zur Spendung von Lebensglück unfähig zu sein, wie man sich schämt, politisch reaktionär zu sein. Die sexuelle Potenz ist das hohe Ideal geblieben, Revolutionärsein ebenso; jeder Reaktionär tritt heute als Revolutionär auf. Doch man hört nicht gern, dass einem das Lebensglück zerbrochen wurde und man eine vertane Zukunft hinter sich hat. Deshalb wehrt sich das Alter immer mehr gegen die konkrete Lebensbejahung als die Jugend. Deshalb wird die alternde Jugend konservativ. Man möchte nicht erkennen, dass man es sich besser hätte einrichten können, dass man nun verneint, was man einmal bejahte; dass zur Verwirklichung der eigenen Lebenswünsche eine Umstellung des gesamten Lebensprozesses erforderlich ist, die viele liebgewordene Ersatzbefriedigungen und Illusionen zerstört. Man flucht nicht gern den Exekutoren der autoritären Staatsgewalt und der asketischen Ideologie, weil sie "Vater" und "Mutter" heissen; man resigniert zwar, aber man verzichtet nie.

Doch die Entfaltung des Lebens ist nicht aufzuhalten. Nicht ohne Grund fasste man den gesellschaftlichen Prozess als Naturprozess auf. Die "historische Notwendigkeit" de's Sozialismus ist nichts anderes als die aktuelle biologische Notwendigkeit der Lebensentfaltung. Die Umbiegung ins Asketische, Autoritäre, Lebensverneinende kann vielleicht wieder einmal gelingen; doch am Ende steht der Sieg der Naturkräfte im Menschen: die Einheit von Natur und Kultur. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass das Leben gegen die Fesseln der ihm auferlegten Lebensweise in hellste Rebellion geriet. Der Kampf ums "neue Leben" setzte erst jetzt richtig ein, zunächst noch in Form schwerster materieller und seelischer Zerrüttung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens. Doch wer das Leben zu begreifen fähig ist, verzagt nicht. Wer satt ist, stiehlt nicht. Wer sexuell glücklich ist, braucht keinen "moralischen Halt" und hat sein naturwahrstes "religiöses Erleben". Das Leben ist so einfach wie diese Tatsachen. Es wird nur kompliziert durch die lebensängstlich gewordene menschliche Struktur.

Die allgemeine theoretische und praktische Durchsetzung der Einfachheit der Lebensfunktion und der Sicherung ihrer Produktivität heisst Kulturrevolution. Ihre Grundlage kann nur die sozialistische Planwirtschaft sein.

ausserdem wird hier auch bei erich fromm "hart durchgegriffen"..

"Wie bringt es der Verfasser fertig, zwei in so hohem Masse gesellschaftskritische Methoden wie Psychoanalyse und Marxismus bei der Behandlung seines Themas zu kombinieren und sich dennoch von jeder politischen Stellungnahme, jeder Andeutung einer praktischen Konsequenz fernzuhalten?"


ZPPS, Band 3 (1936), Heft 3/4 (10/11), S. 176-178

Rezension - Erich Fromm: Autorität und Familie (1936)

(Theoretische Entwürfe über Autorität und Familie - Sozialpsychologischer Teil, vom Erich Fromm. Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Paris: Librairie Félix Alcan. 1936)

Wie bringt es der Verfasser fertig, zwei in so hohem Masse gesellschaftskritische Methoden wie Psychoanalyse und Marxismus bei der Behandlung seines Themas zu kombinieren und sich dennoch von jeder politischen Stellungnahme, jeder Andeutung einer praktischen Konsequenz fernzuhalten?

Zunächst durch die Wahl der Beispiele! Im ersten Abschnitt "Mannigfaltigkeit der Autoritätserscheinungen" werden alle möglichen Situationen beschrieben; doch von den Autoritätserscheinungen, die den Faschismus prägen, kein Wort. Überhaupt ist von ihm in der ganzen Arbeit nur unter der akademisch-neutralen Bezeichnung "autoritärer Staat" die Rede.

Die autoritäre Einstellung erklärt F. in der Folge im Anschluss an Freud aus der Verinnerlichung der elterlichen Autorität. Doch habe Freud übersehen, dass diese Autorität nicht einer jeweils zufälligen individuellen Situation entspringt, sondern aufs engste mit dem gesellschaftlichen Inhalt der Familieninstitution überhaupt zusammenhängt. In unserer Gesellschaft würde

"eine Fügsamkeit, die nur auf der Angst vor realen Zwangsmitteln beruhte ... einen Apparat erfordern, dessen Grösse auf die Dauer zu kostspielig wäre (S. 84) . . . Es ergibt sich, dass, wenn äussere Gewalt die Gefügigkeit der Massen bedingt, sie doch in der Seele des einzelnen ihre Qualität verändern muss. Die hierbei entstehende Schwierigkeit wird teilweise durch Über-Ich-Bildung gelöst (S. 84) . . . In dem relativ determinierenden Charakter der Kindheitserlebnisse liegt der Grund dafür, dass bestimmte psychische Strukturen oft über die gesellschaftliche Notwendigkeit hinaus ihre Kräfte behalten." (S. 85)

Richtig! Doch diese Gedanken standen bereits im Herbst 1933 in der "Massenpsychologie des Faschismus" -- vgl. besonders den von Reich in die marxistische Gesellschaftslehre eingeführten Begriff "psychische Struktur". Warum unterlässt es Fromm, Mps. zu zitieren?

Doch wie wird diese Struktur individuell verankert? Durch das von der gleichen Struktur geprägte Verhalten des Erwachsenen, antwortet F. ganz richtig.

"Es ist also nicht in erster Linie die biologische Hilflosigkeit des kleinen Kindes, die ein starkes Bedürfnis nach strenger Autorität erzeugt; die aus der biologischen Hilflosigkeit sich ergebenden Bedürfnisse können von einer dem Kinde freundlich zugewandten und nicht einschüchternden Instanz erfüllt werden. Es ist vielmehr die soziale Hilflosigkeit der Erwachsenen, die der biologischen Hilflosigkeit des Kindes ihren Stempel aufdrückt."

Aber Fromm verschweigt, dass es sich hier vor allem um sexuelle Bedürfnisse handelt und umgeht so mit bewundernswertem Geschick das ganze Problem der gesellschaftlich bedingten Sexualunterdrückung.

Besonders grotesk wirkt in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die mutterrechtliche Gesellschaft, in der von einem Ödipuskomplex im Freud'schen Sinne nicht gesprochen werden kann. Was ist aber in dieser Gesellschaft anders? Werden die Kinder sexuell nicht eingeschränkt? -- wie Malinowski uns bekanntlich berichtet. -- Nein. Nach F. besteht der entscheidende Unterschied darin, dass die beiden Funktionen des allmächtigen sexuellen Rivalen und der allmächtigen Autorität "z. B. in einer Reihe von primitiven Stämmen auf den Mutterbruder und den Vater verteilt" sind.

Im Abschnitt über "Autorität und Verdrängung" finden sich eine Reihe kluger Beobachtungen. Auch die Bedeutung der ungehemmten genitalen Sexualität für eine gesunde Entwicklung wird scheinbar anerkannt. Doch Sexualbefriedigung schaffe nicht schon an sich ein starkes Ich, was wir an den Primitiven beobachten können.

"Muss auf Grund der Veränderung der ökonomischen Bedingungen mehr Energie auf die Beherrschung der Natur verwandt werden, so wird im Gegenteil die neue Lebenspraxis und der damit verbundene Prozess des Ich-Wachstums Einschränkungen der Sexualität notwendig machen und diese Sexualunterdrückung kann zu einer Bedingung der Ich-Entwicklung werden."

In diesem Gedankengang steckt vielleicht als einzig richtiger Kern, dass bestimmte, durch Sexualunterdrückung entstandene Strukturen zu bestimmten Arbeiten in der kapitalistischen Produktion besonders geeignet machen. Subjektiv können solche Strukturen dem Individuum heute nützlich sein, objektiv bedeuten sie eine Einbusse an Arbeitskraft und Lebensfreude, eine Einbusse, die eine sozialistische Gesellschaft durch entsprechende Organisation der Arbeit überflüssig machen wird. Nur die kapitalistische Gesellschaft bedarf zur Bewältigung der Naturmächte sexuell gestörter Menschen.

Im Schlussabschnitt beschreibt F. die sadistisch-masochistische Durchschnittsstruktur des Menschen unserer Gesellschaft. Reichs Masochismustheorie wird wegen "physiologistischer Überschätzung des sexuellen Faktors" abgelehnt. Darum fehlt auch leider jede tiefere psychologische Begründung für die verschiedenen Verhaltungsweisen, in denen F. diese Struktur ausgedrückt findet. Doch ihre Beschreibung an sich ist geistvoll und lehrreich, leider in der Anordnung etwas unsystematisch.

Autorität wird es nach F. im Interesse geordneter Wirtschaftsführung auch in einer auf Interessensolid[ar]ität aufgebauten Gesellschaft geben, allerdings nur mehr eine rationale. In der Erziehung wird sie in einer solchen Gesellschaft ausschliesslich der Entfaltung des Kindes dienen,

"soweit sie die Unterdrückung bestimmter Triebregungen fördern muss, ist auch diese triebeinschränkende Funktion verschieden [von der im Kapitalismus, d. Ref.], weil sie im Interesse der Gesamtpersönlichkeit des Kindes liegt" (S. 135).

Doch eine solche Entfaltung mit Triebeinschränkung würde notwendig zu irrationaler Autoritätsbereitschaft führen, also F.s eigenes Programm gefährden. F. kennt eben nicht den erst von der Sexualökonomie herausgearbeiteten Begriff der Selbststeuerung.

Kehren wir zur Frage zurück, von der wir ausgegangen sind. F. kann zu keinen politischen Konsequenzen gelangen, weil er einerseits in viel zu hohen Abstraktionen ohne Kontakt mit den Bedürfnissen der politischen und pädagogischen Praktiker an theoretischer Klärung arbeitet. Doch ein solcher Forscher sollte sich dann lieber nicht Marxist nennen oder sich zu einer neuen Art Marxismus bekennen, der sich vom wirklichen durch Trennung von Theorie und Praxis unterscheidet. Wesentlicher noch ist es, dass F., statt den Weg der Sexualökonomie zu gehen, die sexualverneinende Wendung der analytischen Theorie mitmacht und sich damit den Ausblick auf die wichtigste Praxis versperrt, zu der der Einbau der Tiefenpsychologie in den Marxismus führt: nämlich die Praxis der Sexualpolitik und sexualökonomischen Massenpsychologie.

Sein Beispiel zeigt, wie in der unkritischen Kombination "Marxismus + Psychoanalyse" die letztere zu einem praktisch überflüssigen Zierat werden oder sogar direkt zu einer antisozialistischen Verbiegung der revolutionären Theorie führen kann.

K[arl] T[eschitz] [d.i. Karl von Motesiczky]

:: phil 18:12 [link] ::

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